Sei hatte sich im unteren Teil des Wandschrankes versteckt als er die Geräusche gehört hatte. Die Worte im Zimmer bekam er nicht wirklich mit doch er hörte die Schüsse und jeder davon ließ den Jungen zusammenzucken.

Es war nicht so das er Yan Tsui mochte, doch war dieser Mann der einzige der dafür sorgte das Sei nicht auf der Straße lebte, wenn auch mit sehr dubiosen Wünschen im Hinterkopf. Sei hielt sich die Ohren zu als erneut ein Schuss fiel. Es dauerte lange bis er sich aus seinem Versteck wagte, langsam die Schranktür öffnete. Im Zimmer war es dunkel als der Junge aus dem Schrank kletterte. Er traute sich nicht den Blick zu heben als er eilig die paar Sachen die er besaß in den Leinenbeutel stopfte. Er hatte nach dem letzten Schuss Schritte gehört die das Zimmer verlassen hatten. Yan Tsui hatte ihn danach nicht zu sich gerufen und auch wenn Sei noch lange nicht erwachsen war so wusste er dennoch das dieser wohl nicht mehr lebte.

Sei schulterte den Beutel und schluckte. Er haftete seinen Blick starr auf den Boden als er langsam das Zimmer verließ. Wo sollte er nun hin? Er hatte niemanden mehr und wusste auch keinen Ort an den er gehen konnte. Und so schritt Sei einer ungewissen Zukunft entgegen.

 

Feilong Liu hob die Hand über die Augen als er auf den Balkon des Hotelzimmers in Taiwans Hauptstadt trat. Es versprach ein herrlicher Tag zu werden und er lächelte leicht. Hinter ihm im Zimmer hörte er Tao wie dieser das Frühstück vom Zimmerservice in Empfang nahm.

Fast vier Jahre waren vergangen seit er das letzte Mal in Taiwan gewesen war. So lange hatte es gedauert die Macht der Baishee in diesem Land zu festigen und die Reise für Tao und ihn sicherer zu machen als ihre erste. Nach Yan Tsuis Tod durch Yoh hatte die russische Mafia den Kontakt zu der taiwanesischen Gruppe abgebrochen und deren restliche Mitglieder ins Chaos gestürzt. Die letzten Jahre hatte Feilong genutzt dieses chaotische Übrigbleibsel in Yan Tsuis Gefolgschaft entweder für seine Seite zu überzeugen oder auszuradieren. Nun gehörte Taiwan ebenfalls zum Einflussgebiet der Baishee und der Urlaub den er Tao damals bei der Abreise versprochen hatte war für beide relativ sicher.

"Feilong-Sama, ... Das Frühstück ist da."

Taos Stimme holte ihn aus seinen Gedanken und er wandte sich ins Zimmerinnere um.

Der Junge stand neben dem gedeckten Tisch und sah Feilong strahlend an. Er war in den vergangenen Jahren ziemlich in die Höhe geschossen. Er hatte durch Training einiges an Muskelmasse aufgebaut udn wirkte nichtmehr so schlacksig wie damals. Seine Haare trug Tao kurz und seine braunen, großen Augen waren wissbegierig und sanft. Manchmal erkannte Feilong in Taos heranwachsenden Zügen eine Ähnlichkeit zu seinem Vater. Dem Mann der sein Bruder gewesen war. Yan Tsui Liu, der Mann der vor vier Jahren der Grund für Feilong gewesen war nach Taiwan zu reisen. Der Mann den er hatte durch Yous Hilfe ermorden lassen wollen um seine eigene Macht als Anführer der Baishee zu sichern. Seinen Bruder der vor mehreren Jahren ihren Vater ermordet hatte und von den Baishee versto0en worden war. Geführt von Hass und wahnwitzigen Ideen und Vorstellungen hatte er versucht mit Hilfe der russischen Mafia seine kleine taiwanesische Gruppe im Einflussgebiet zu stärken. Das hätte Feilong nicht wirklich gestört, wäre nicht die Tatsache dass in der Baishee Anhänger Yan Tsuis existierten und nicht an dessen Tod glaubten und ihm gefährlich werden könnten. So hatte er entschieden, Yan Tsui aus dem Weg zu räumen.

Alles war geplant gewesen, sein Flug nach Taiwan, das Treffen mit Yoh und der Mord an Yan Tsui. Und dann hatte Tao seiner Pubertät folgend Feilongs Befehl zu Hause zu bleiben ignoriert und war ihm gefolgt. Unwissend welcher Gefahr er sich damit ausgesetzt hatte. Yan Tsui hatte den Jungen entführt um Feilong in eine Falle zu locken, nicht ahnend das dieser sein Sohn war. Feilong war wissentlich in diese Falle gegangen um Tao zu schütten, hatte sich in die Hände seines Bruders begeben der seinen Fantasien darüber Feilong zu besitzen mit einer Vergewaltigung hatte ausleben wollen. Feilong war dieser durch glückliche Umstände entkommen doch Tao hatte danach erfahren wer er war und das der Mann der ihn entführt hatte sein eigener Vater war. Zuerst war er auf Feilong böse gewesen das dieser ihm seine Herkunft verschwiegen hatte, doch hatte Taos Liebe und Vertrauen in ihn gesiegt und das Verhältnis zwischen ihnen noch vertieft. Er hatte Tao den Urlaub in Taiwan damals versprochen und nun waren sie tatsächlich wieder hier.

Tao strahlte den Mann gegenüber an. Er genoss es mit Feilong Zeit zu verbringen und hier in Taiwan hatte er ihn wirklich für sich. Es hatte lange gedauert bis der versprochene Urlaub wirklich stattfand aber Tao freute sich das er wahr geworden war. Er hatte damals eher damit gerechnet, dass Feilong ihm die Bitte abschlagen würde nach den Geschehnissen, umso mehr hatte er sich gefreut als dieser zugestimmt hatte. Vor vier Jahren hatte er erfahren dass der Mann der für ihn immer ein Dienstgeber und Herr gewesen war in wirklichkeit sein Onkel war. Sein Bruder war Taos Vater gewesen doch hatte er weder von ihm gewusst noch sich um ihn gekümmert,. Tao war als Zimmerjunge bei Fei gewesen seit er denken konnte. Sein Vater war nach dem letzten Aufenthalt in Taiwan tot und Feilong war seither mehr als nur sein Dienstherr,,, er war sein Onkel und Vater zugleich. Feilong hatte ihm damals geholfen als er trotz Verbotes ihm gefolgt und entführt worden war.  Auch wenn er die meiste Zeit bewusstlos gewesen war und im ersten Moment nicht ganz begriffen hatte was geschehen war so war Tao sich sicher, dass er Feilong sein Leben verdankte. Er hatte damals geschworen den Älteren zu beschützen und das würde er sicher einhalten. Unter Feilongs Anweisung hatte er mit Martial Arts angefangen und diese in den letzten Jahren weiter ausgebaut.

"Was ist los Tao? Hast du mir gerade überhaupt zugehört?"

Taos Augen weiteten sich und er sah den jungen Mann gegenüber an. Das er leicht rot wurde ließ den anderen leise kichern.

"Scheint nicht so zu sein. Ich hatte gefragt ob es okay wäre wenn wir heute zum Mengjia Langshan Tempel gehen. Das Wetter ist angenehm und wir können etwas Kultur erleben."

Tao blinzelte bevor er heftig nickte.

"Oh ja gerne, Den Drachenbergtempel wollte ich eh gerne sehen. Und.. danach können wir sicher über den Markt gehen oder?"

Er sah Feilong mit großen Augen an, strahlte noch mehr als ein stummes Nicken dessen Zustimmung signalisierte.

 

Sei strich durch das geschäftige Treiben der Touristen auf dem Markt. Es herrschte noch immer reges Treiben an den vielen Verkaufsständen und das milde Wetter lud die Menschen ein, in dem kleinen Suppenküchen eine Pause zu machen.

Auch Sei hatte einige Zeit in einem der kleinen Restaurants gesessen und dem Treiben zugesehen. Nun ließ er durch die Massen an Touristen die an den Ständen feilschten und neugierig die Waren betrachteten. Er war nun auf dem Weg nach Hause, ignorierte die Händler die versuchten auch ihn von ihren Waren zu überzeugen.

Vier Jahre lang schlug er sich nun schon alleine auf den Straßen Taipehs durch. Er war inzwischen 16 Jahre alt und so gesehen mitten in der Pubertät. Seine langen, schwarzen Haare, die ihm bis zur Hüfte reichten, trug er meist offen und seine violett-blauen Augen blickten meist recht traurig. Den Touristen gefiel das Bild des femininen Jungen mit dem hochgewachsenen, schlanken Körper und dem glatten Gesicht. Er schlug sich als Stricher durch, hatte bisher leider nie die Chance gehabt, etwas zu finden, das ihm half über die Runden zu kommen. Die Stadt war zwar ein Touristenmagnet, doch noch immer spielte sich vieles in den dunklen Gassen abseits der Touristenattraktionen ab.

Sei war so in Gedanken versunken dass er nicht wirklich auf den Weg achtete. Dementsprechend heftig zuckte er zusammen als er in den Mann vor sich lief, der ihm aufgrund der Menschenmenge nicht hatte ausweichen können.

"Uh.. entschuldigung", murmelte er und hob zögerlich den Blick. Die meisten Touristen reagierten auf solche Zusammenstöße mit Angst vor Taschendieben und damit rechnete er auch in diesem Moment. Sein Blick glitt an dem schwarzen Anzug vor ihm nach oben und er schluckte schwer. Den Mann vor ihm hatte er schon einmal gesehen. Die langen schwarzen Haare, die schlanke Statur und das ernste Auftreten.

Vor vier Jahren hatte dieser Mann in Yan Tsuis Lagerhaus gestanden. Sei schluckte als sein Blick sich langsam von dem Älteren löste und er blinzelte leicht. Neben diesem stand der Junge, den Yan Tsui damals entführt hatte. Er hatte ihm erzählt das sein Bruder den Jungen so lieben würde wie er ihn und alles tun würde um ihn zu befreien.

Sei war sich sicher, dass niemand ihn damals bemerkt hatte, selbst Yan Tsui hatte seine Anwesenheit nicht geahnt. Er hatte sich in das Lagerhaus geschlichen und versteckt. Was er gesehen hatte, hatte ihn ziemlich verwirrt. Yan Tsui hatte ihm damals gesagt, der andere wäre sein Bruder, doch wieso hatte er seinem Bruder das antun wollen? Sei hatte beobachtet, wie die beiden zuerst diskutiert hatten bevor Yan Tsui den augenscheinlich Jüngeren gezwungen hatte, ihn zu befriedigen. Danach war sein Bruder einer Vergewaltigung nur durch Glück entkommen und Sei hatte sich aus dem Staub gemacht nachdem er die ersten Schüsse gehört hatte. Yan Tsui war spät und verletzt nach Hause gekommen doch hatte Sei sich nicht getraut ihn zu fragen was geschehen war. Nur ein paar Tage später war ein Mann bei ihnen eingedrungen und Sei hatte sich als Vollwaise auf der Straße wiedergefunden.

Feilong blinzelte leicht als der Junge vor ihm ihn weiterhin musterte. Er kannte ihn nicht, doch etwas an ihm sorgte für Gänsehaut in Feilong. Der Junge erinnerte in seinem Aussehen an sein Spiegelbild in jungen Jahren.

„Ist alles in Ordnung?“

Tao, der vorgelaufen waren, riss beide mit seiner Stimme aus der unangenehmen Stille die zwischen ihnen herrschte.

„Uhm… ja doch alles okay Tao.“ Fei blinzelte und sah den fremden Jungen an.

Sei schluckte als er aus seinen Gedanken gerissen wurde und sah sich unsicher um.

„Uhm,… tut mir leid,“ murmelte er leise, bevor er so schnell er konnte in der Touristenmenge verschwand.

Feilong sah der schlanke Statur nach, verlor sie jedoch recht schnell aus den Augen. Das war suspekt. Der Junge war vermutlich nicht älter als Tao gewesen. Doch sein Aussehen war das, was Feilong so verunsicherte.

„Wer war das?“ murmelte Tao neben ihm, während er dem Fremden nachsah. „Er… sah aus wie Sie, Feilong-Sama!“

 Das es selbst Tao aufgefallen war, der ihn nur einige Minuten gesehen hatte beunruhigte Feilong.

 "Vermutlich... ist das nur Zufall," murmelte Feilong während er den Arm um Taos Schultern legte und den Weg durch die Menge fortsetzte.

 Durch Taos Neugier auf alles in seiner Umgebung gelang es Feilong die Gedanken an die unheimliche Begegnung zu vergessen.

 

 Sei schloss die Tür hinter sich und lehnte sich nach Atem ringend dagegen. Er war die komplette Strecke nach Hause gerant, aus Schreck vor dieser Begegnung. Der Mann den er gesehen hatte war der Bruder seines damaligen Herren gewesen. Als er diesen vor zwei Jahren das erste Mal gesehen hatte, war YanTsui dabei gewesen ihn vergewaltigen zu wollen. Damals schon hatte er das sehr verstörend gefunden und je älter er wurde, desto irritierender war es geworden. Er hatte sich bis zu dem Zeitpunkt nie gefragt warum YanTsui darauf bestanden hatte, das er seine Haare lang lies oder diese chinesischen Outfits trug bis zu dem Moment, an dem er dessen Bruder Feilong gesehen hatte. Er hatte ein Klon werden sollen. Ein Spielzeug an dem YanTsui seine Fantasien ausleben konnte... und dies auch getan hatte.