„Cuuuut! Einfach Wahnsinn, Gackt-san! Das war einmalig!“

Keiichi überschlug sich fast, als er von seinem Stuhl hinter der Kamera aufsprang und auf den Sänger zugelaufen kam. Dieser stand in eine schwarze Kapuzenjacke gehüllt in dem kleinen Tunnel und blinzelte den Regisseur an.

„Meinst du wirklich?“

Er wirkte nicht sonderlich überzeugt von seiner Darstellung, aber Keiichi schüttelte nur heftig den Kopf.

„Nein, wirklich. Das wirkte genau so wie ich mir das vorgestellt hatte. Sehr authentisch wie du sie verfolgst und der Blick in deinen Augen.... Wie ein Raubtier, das auf Beute aus ist.“

Gackt blickte zu Minami - das junge Mädchen, welches er für die Szene hatte verfolgen müssen, und zuckte unmerklich zusammen. Minami wirkte sichtlich verängstigt, auch wenn sie versuchte sich dies nicht anmerken zu lassen. Gackt schlug die Kapuze zurück und fuhr sich durch die Haare.

„Auch wenn du uns nicht verraten willst, was du mit Teijiro gesprochen hast, so muss ich sagen, das es dir scheinbar geholfen hat in die Rolle zu finden. Du warst gerade einfach nur großartig.“

Keiichi wirkte vollkommen euphorisch und strahlte übers ganze Gesicht. Der Regisseur hatte Gackt kurz vor Drehbeginn über dessen Treffen mit Takegami ausfragen wollen, doch nachdem der Sänger seine Fragen nicht beantwortet hatte, hatte er es dabei belassen.

„Du kannst dir die Szene gerne nochmal ansehen. Sollte dir dann doch etwas nicht passen, was ich bezweifle, können wir sie nochmal wiederholen.“

Gackt folgte ihm zu dem kleinen Monitor und lies sich dahinter in der Hocke nieder. Die Szene wirkte noch gespenstischer als er dachte. Er sah Minami in den Tunnel biegen, sich immer wieder ängstlich umsehend und kurz darauf trat seine Gestalt ebenfalls um die Ecke. Die Kamera näherte sich seinem Gesicht und fing den Ausdruck in seinen Augen ein. Das animalische Verlangen darin, dieses Mädchen zu seiner Beute zu machen. Ein kalter Schauer lief über Gackts Rücken, als er in seine eigenen Augen sah, bevor das Bild abbrach. Keiichi hatte nicht untertrieben, als er meinte er hätte die Szene gut gespielt, allerdings für seinen Geschmack schon fast zu gut. Als sie die Szene besprochen und zu drehen begonnen hatten, waren ihm Takegamis Worte wieder eingefallen. Er schauderte und blinzelte einige Male.

„Nun zufrieden oder nicht?“

Keiichis Blick durchbohrte ihn fast und Gackt nickte nur noch automatisch.

„Yay klasse, dann liegen wir ja richtig gut in der Zeit. Wir können dann eigentlich noch die Partyszene drehen mit Minami. Das heißt... sie haben schon Feierabend, Gackt-san. In der Szene kommt Takegami nicht vor.“

Keiichi lächelte und erhob sich. Gackt zögerte einen Moment, bevor er sich zu Minami umdrehte und leicht lächelte. Das junge Mädchen schien noch immer zu zittern und er wusste nicht, wie er das Gefühl deuten sollte, das sich in seinem Inneren ausbreitete. Einerseits war er besorgt darüber und andererseits schien ein Teil in ihm dieses Gefühl der Macht über sie zu genießen. Der Sänger schlug den Mantelkragen wieder nach oben und trottete nachdenklich zu seinem Wohnwagen. Der Anblick der zitternden Minami ging ihm nicht aus dem Kopf und er seufzte abwesend. Hatte Takegami doch recht gehabt mit dem, was er gesagt hatte? War er dem Mann in der Zelle doch nicht so unähnlich? Gackt öffnete die Tür seines Wohnwagens und warf den Mantel auf das Sofa. Er streckte sich, fuhr sich durch die Haare und schloss kurz die Augen. Das war doch irrsinnig. Er war diesem Verrückten ganz sicher nicht ähnlich, das heute war nur ein guter Tag gewesen. Er sah auf die Uhr über der Tür und murrte leise. Es war noch viel zu früh für seinen Geschmack um sich im Trailer zu langweilen. Er tapste in die kleine Dusche und drehte die Heizung auf. Während der kleine Raum sich aufheizte, zog er seinen Laptop aus der Tasche und stellte ihn auf den Tisch. Ihm würde sicherlich eine Beschäftigung einfallen, wenn er erst einmal wieder einen freien Kopf hatte. Der Sänger drehte sich um und entledigte sich auf dem Weg in die Dusche seiner Kleidung. Als das warme Wasser über seine Schultern rann, entkam ihm ein leiser, erleichterter Seufzer. Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, genoss für einige Sekunden die Wassertropfen auf seinem Gesicht bevor er damit begann sich einzuseifen.

Tatsächlich fand er nach der Dusche die Muse sich seinem PC zu widmen. Neben einem Blogeintrag schaffte er es auch noch sich wieder etwas der Musik zu widmen. Die nächsten drei Tage waren für ihn recht angenehm. Der Dreh verlief ohne größere Probleme und Keiichi war die meiste Zeit mit ihm zufrieden. Es war Sonntagabend und der Drehtag schon seit ein paar Stunden beendet, als es an der Tür seines Wohnwagens klopfte. Irritiert erhob Gackt sich und öffnete die Tür. Vor ihm stand Shiro, mit einer Hand das Telefon haltend, mit der anderen die Sprechmuschel abdeckend, während er ihn mit großen Augen ansah.

„Shiro? Machst du eigentlich nicht einmal sonntags Feierabend oder was machst du noch hier?“

Das Drehgelände war so gut wie ausgestorben, wie Gackt einige Stunden zuvor bei einem kleinen Spaziergang festgestellt hatte. Außer einigen sehr zähen Fans war eigentlich niemand mehr auf dem Gelände anzutreffen gewesen. Gackt sah den Mann vor sich an und hob fragend eine Augenbraue. Shiro schien irgendwie leicht zu zittern und es konnte sicher nicht an der Kälte liegen. Es war eine recht warme Sommernacht und dementsprechend irritierte es Gackt etwas, bis sein Blick auf das Telefon in Shiros Hand fiel.

„Es... ist für Sie, Gackt-San...“

Der Sänger runzelte leicht die Stirn. Wer sollte ihn den schon über das Telefon des Marketingchefs anrufen? Jeder, der ihm wichtig war, hatte seine Mobilnummer und ihm fiel sonst keiner ein, der etwas mit ihm zu besprechen hätte. Shiro hielt ihm das Mobiltelefon hin und sah ihn an.

„Wer ist es denn?“

Doch er bekam keine Antwort von Shiro. Der junge Mann hatte, kaum dass Gackt den Hörer entgegen genommen hatte, die Beine in die Hand genommen und war in Richtung Bürokomplex verschwunden. Das irritierte den Sänger nun noch mehr. Shiro schien regelrecht von Panik ergriffen geflüchtet zu sein. Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und schloss die Tür wieder bevor er den Hörer ans Ohr hob.

„Hallo? Wer ist denn dran?“

„Mein Gott, ich dachte schon der Junge muss einmal um die Welt reisen. Das hat ja wirklich ewig gedauert, Gackt-san. Das Drehgelände scheint wirklich sehr groß zu sein.“

Die amüsiert klingende Stimme jagte Gackt einen Schauer über den Rücken. Auch ohne, dass sein Gegenüber seinen Namen genannt hatte, war es deutlich, dass es sich bei dem Anrufer um Takegami handelte. Aber warum sollte dieser ihn anrufen? Er hatte sich drei Tage nicht bei ihm gemeldet und auch vom Gefängnis war keine Nachricht gekommen.

„Sie sind so schweigsam, Gackt-san. Ich wollte mich erkundigen wie die Dreharbeiten verlaufen. Ihr Marketingchef scheint dem Herrn Direktor gegenüber nicht sehr auskunftsfreudig zu sein.“

Takegamis Stimme holte den Sänger wieder aus seinen Gedanken.

„Nun... es ist nichts besonderes geschehen in den letzten Tagen, was für Sie interessant sein könnte.“

Gackt verfluchte sich innerlich dafür, dass seine Stimme etwas zu zittern schien und er hoffte, vermutlich allerdings vergebens, dass Teijiro dies nicht bemerken würde.

„Wirklich keine Vorkommnisse? Das enttäuscht mich ja schon fast. Dann erzählen Sie mir wenigstens von dem langweiligen Alltag.“

Takegamis Stimme klang etwas offener als Gackt sie in Erinnerung hatte. Das musste wohl daran liegen, dass der andere vermutlich keine Maske trug. Dieses Plastikteil hatte möglicherweise eine Menge der Laute verschluckt. Teijiros Stimme war angenehm. Etwas, das ihn doch überraschte. Sie wirkte sehr ruhig und hatte einen tiefen Klang. Dem Sänger schoss das Wort sexy durch den Kopf und er schüttelte diesen irritiert. Wieso sollte er die Stimme eines anderen Mannes sexy finden. Er ließ sich in den Sessel sinken bevor er Takegami antwortete.

„Nun, normalerweise dauern die Drehtage recht lange. Da heute allerdings Sonntag ist, hatte keiner mehr wirklich Lust nach 15 Uhr noch etwas zu arbeiten. Aber wir kommen recht gut voran...“

„Dann scheint der Knoten geplatzt zu sein? Was gab den Ausschlag? Haben Sie sich meine Worte etwa doch zu Herzen genommen?“

Gackt hörte den amüsierten Unterton in der Stimme des anderen und irgendwie musste er sich eingestehen, dass es ihn nicht einmal störte. Erschreckenderweise auch weil er eben Recht hatte. Gackt hatte an den vergangenen Tagen wirklich versucht sich etwas mehr auf Takegamis Worte einzulassen und es schien ihm zu gelingen ohne sich zu sehr dafür zu hassen. Keiichi war mit seiner Darstellung fast durchweg zufrieden und die anderen Darsteller machten nicht mehr den Anschein als wollten sie ihm nach Drehschluss im Dunkeln nicht mehr begegnen.

„Sagen wir mal... ich habe darüber nachgedacht. Ich teile zwar nach wie vor nicht Ihre Meinung was das alles angeht, aber... ich bin eben Schauspieler.“

Am anderen Ende der Leitung war ein unterdrücktes Kichern zu hören und Gackt hob eine Augenbraue.

„Schauspieler ja... Bedarf es nur der Frage, ob gut oder schlecht. Selbst hier am Telefon sind Sie nicht wirklich in der Lage sich so selbstsicher zu geben wie Sie es gerne würden, nicht wahr? Ihre Stimme zittert und ich gehe davon aus, dass Sie nervös mit den Fingern auf der Lehne ihres Stuhles trommeln oder auf einem Blatt herumkritzeln.“

Hatte Takegami das Trommeln etwa gehört? Gackt hielt sofort seine Hand still und blinzelte. Woher konnte der andere das wissen? Es stimmte, seine Stimme zitterte und er war wirklich nervöser als er es sein wollte, aber der andere wurde ihm nun schon wieder unheimlich.

Das Gekicher am anderen Ende wurde lauter und Gackt fühlte wieder etwas Wut in sich aufsteigen wie schon bei seinem ersten Gespräch mit Takegami.

„Keine Sorge, Gackt-san, Sie sind nicht der Erste, der sich bei Gesprächen oder Telefonaten mit mir unwohl und nervös fühlt.“

Teijiros Stimme klang noch immer amüsiert und Gackt schluckte den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, vorerst herunter.

„Und ich möchte Sie auch ganz sicher nicht irgendwie bloß stellen oder sonstiges. Ich bin einfach nur interessiert daran. Ich bezweifle, dass ich den Film sehen werde, daher muss ich wohl eingestehen, dass ich vielleicht einfach nur will, dass ein nicht zu falsches Bild von mir durch diesen Film entsteht.“

Gackt schluckte. Diesmal hatte er an Takegamis Stimme ein leichtes Zittern bemerkt, doch wirklich darauf ansprechen wollte er den anderen nicht. Dieser schien sich wirklich Gedanken um das zu machen, was der Film den Zuschauern vermitteln würde über ihn.

„Sie verstehen sicher, dass ich, aufgrund meiner eingeschränkten Freiheit zu tun und zu lassen was ich will, auf Sie und ihre Fähigkeiten angewiesen bin. Und wie ich Ihnen schon bei unserem ersten Treffen sagte bin ich durchaus überzeugt davon, dass Sie dieser Rolle gerecht werden können. Wir sind uns eben wirklich nicht so unähnlich wie Sie es vielleicht gerne hätten.“

„Ich habe ja nie behauptet, dass ich Ihre Idee, von wegen Kraft schöpfen aus anderen, nicht verstehe. Ich finde nur man kann Kraft aus anderen schöpfen ohne sie dafür töten zu müssen, geschweige denn sie zu essen. Mir reicht es eben, dass Sie mir mit Ihrer Art zeigen, dass Sie mich und meine Arbeit schätzen. Das gibt mir schon genug Kraft.“

„Nun.... sagt Ihnen der Begriff Energievampir etwas, Gackt-san?“

Gackt zögerte mit der Antwort. Er hatte davon gehört, aber was es so wirklich sein sollte wusste er nicht und er wollte auch verhindern Takegami in irgendeiner Weise ins offene Messer zu laufen.

„Energievampire schöpfen ihre Kraft aus der Bewunderung, der Aufmerksamkeit anderer. In Ihrem Falle wohl die Verehrung ihrer Fans. Ist es nicht so? Diese Aufmerksamkeit und Bewunderung, diese Anfeuerungsrufe bei Konzerten - sie geben Ihnen Kraft. Sie sehen, Sie sind doch wie ich, wenn auch nicht unbedingt bis zum Äußersten gehend.“

Gackt schluckte. So hatte er es noch nie gesehen. Sicher, die Anfeuerungsrufe gaben ihm wirklich Kraft, wenn er auf der Bühne stand und drohte zusammenzubrechen, sie halfen ihm wieder auf die Beine und sorgten dafür, dass er die Show jedes Mal bis zum Ende durchstand.

Takegami bemerkte das Schweigen am anderen Ende der Leitung und lächelte leicht.

„Wir sind gleich, Sie ziehen ihre Energie aus der Bewunderung Ihrer Fans... und ich eben aus dem Fleisch meiner Opfer.“

Der Sänger wusste nicht, was er darauf antworten sollte. So ungern er es auch zugab, der andere hatte recht mit seinen Worten und die Erkenntnis schockierte ihn auf gewisse Weise.

„Ist alles in Ordnung, Gackt-san? Sie sind so schweigsam gerade.“

Takegamis Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ähm ja... alles okay. Ich habe... nur gerade nachgedacht. Meinen Sie nicht, dass die Bezeichnung Energievampir etwas zu übertrieben ist? Nach Ihrer Theorie wäre dann ja jeder Entertainer oder Musiker, der auf einer Bühne steht, dieser Art.“

Der Sänger wusste, dass er gerade verzweifelt versuchte Takegamis Theorie und Worte zu entschärfen. Und auch wenn er sich innerlich sicher war, dass ihm dies nicht gelingen konnte, einfach aus dem Grund, weil der andere wirklich recht hatte, so wollte er es doch wenigstens versuchen.

„Vermutlich haben Sie da sogar in gewisser Weise recht, nur bei den meisten ist es nicht ganz so auffällig wie bei Ihnen. Ich kenne Ihre Konzerte, und ich war auch schon auf dem ein oder anderen.....“

Takegami lächelte, als er hörte wie sein Gegenüber die Luft anzuhalten schien.

„...und eben genau da habe ich gemerkt, dass es bei Ihnen anders ist als bei anderen Künstlern. Ihre Fans gehen nicht aus der Halle mit dem Gefühl etwas verloren zu haben. Etwas, das ich bei anderen noch nicht erlebt habe. Wenn Ihre Fans die Halle verlassen, dann mit einem Hochgefühl, das den Verlust der Energie komplett überdeckt. Sie scheinen in wirklich vielen Dingen außergewöhnlich zu sein, Gackt-san.“