Der Sänger schwieg. Er wusste auch nicht, was er auf die Aussage seines Gegenübers antworten sollte. Es stimmte, dass viele seiner Fans ihm nach Konzerten Mails schrieben, in denen sie ihm beschrieben wie toll sie sich nach seinen Konzerten gefühlt hatten, wie froh sie gewesen wären. Gackt seufzte leise. Wieso fiel es ihm so schwer das, was Takegami sagte, zu akzeptieren? Wieso hatte der andere ihn überhaupt so weit bringen können? Der Sänger hatte in den letzten Tagen angefangen über Dinge nachzudenken, die er sonst immer als selbstverständlich angesehen hatte. Das Verhalten seiner Mitarbeiter ihm gegenüber, deren Drang ihm alles sofort zu seiner Zufriedenheit zu erledigen. Das Verhalten seiner Fans, die ihm Kraft gaben und selbst nie so schienen als würden sie ihre eigene verlieren. Er verstand es nicht, aber scheinbar hatte Teijirou eine bessere Beobachtungsgabe als er sie besaß. Und es machte ihn neugierig auf den anderen Mann. Die Abscheu, die er dem anderen gegenüber am ersten Tag empfunden hatte, wich einer gewissen Neugier, die er sich selbst nicht wirklich erklären konnte.

„Gackt-san? Sind Sie eingeschlafen?“ Takegami konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. Er saß im selben Zimmer, in dem er sich das erste Mal mit dem Sänger getroffen hatte und hatte sich in dem Stuhl etwas zurückgelehnt. Es hatte ihn einige Mühe gekostet den Direktor davon zu überzeugen einerseits Gackt anrufen zu dürfen und andererseits, dass es einfacher für ihn wäre zu telefonieren ohne die Zwangsjacke. Es war das erste Mal seit einigen Wochen, dass er seine Arme wieder frei bewegen konnte. Und er genoss das Kribbeln, das sich darin breitmachte, nachdem nun wieder die Blutzufuhr in Gang kam. Noch mehr hatten ihm aber die Blicke der beiden Polizisten gefallen, die ihn von der Jacke hatten befreien müssen. Zu gerne hätte er ihre Reaktion getestet, wenn er sich entgegen ihre Anweisungen bewegt hätte, aber das Risiko war ihm dann doch etwas zu groß gewesen, nachdem es ihn schon so viel Mühe gekostet hatte telefonieren zu dürfen.

„Sie sind schon wieder so schweigsam, da kriege ich fast schon das Gefühl Sie fänden ein Telefonat mit mir zum Einschlafen.“

Gackt kicherte leise.

„Ach, dann würde ich sicher schon lange selig vor mich hin schnarchen, wenn es wirklich so langweilig wäre. Abgesehen davon ist es noch zu früh für mich um an schlafen zu denken.“

„Dann bin ich ja beruhigt. Es war schon anstrengend genug diesen einen Anruf hier genehmigt zu kriegen. Wer weiß, wann der nächste erfolgen darf. Dann geh ich aber auch recht in der Annahme, dass ich Sie nicht bei irgendwas gestört habe, wenn Sie meinen, dass es noch zu früh fürs Schlafen wäre.“

Takegami lächelte leicht. Irgendwie kam er nicht umhin sich den Sänger gerade in Schlafanzug auf dem Sofa in seinem Trailer vorzustellen, auch wenn er bezweifelte, dass der andere zum Schlafen wirklich so etwas wie einen Pyjama trug.

„Nein, ich hatte etwas am PC gearbeitet. Abends kann ich mich immer am besten um musikalische Dinge kümmern. Abgesehen davon, dass ich tagsüber momentan dazu ja auch keine Zeit habe.“

„Wie sagte meine Mutter immer zu mir... Nachts werden die Kreativen fleißig. Bei Ihnen hat sie damit wohl recht, auch wenn ich nicht ganz verstehe, wieso sie das immer zu mir sagte. Was anderes als Malen nach Zahlen war nicht unbedingt kreativ in meiner Jugend.“

Nun musste der Sänger wirklich lachen.

„Na das ist doch schon kreativ. Döschen auf und Farbfelder ausmalen. Das kann auch nicht jeder.“

Takegami hob eine Augenbraue. Das war das erste Mal, dass der Sänger ihm gegenüber lachte und dieses Lachen war ansteckend. Er kicherte.

„Naja, manchmal ist die Farbe auch an der Wand gelandet statt auf den vorgesehenen Farbfeldern, aber das ist ja nicht so tragisch. Ist ja genauso kreativ dann. Fand meine Mutter zwar nicht unbedingt, aber mir gefiel es.“

Gackt lachte noch mehr. Dass der andere von seiner Kindheit erzählte fand er zwar etwas befremdlich, aber es störte ihn nicht. Er wollte ihn ja näher kennen lernen, den Mann, der hinter dem Monster stand, für das er von allen gehalten wurde. Er verstummte kurz, als er daran dachte, dass Keiichi ihn vermutlich für diese Information umbringen würde und lachte erneut, als er sich dessen Gesicht vorstellte wie ihm die Kinnlade zu Boden fiel.

Takegami hatte sich gerade wieder beruhigt, als der andere erneut zu lachen begann.

„Was ist denn nun so lustig?“

„Verzeihung ich hab mir gerade das Gesicht des Regisseurs vorgestellt, wenn ich ihm von diesem Telefonat erzählen sollte. Er würde vermutlich erst einmal aus allen Wolken fallen, bevor er mir an die Kehle springt.“

„Also das mit dem an die Kehle springen, damit wird er vermutlich warten bis NACH dem Filmdreh. Wobei ich mir gerade das bildliche Vorstellen daran verkneifen muss.“

„Soll das heißen, ich hab eine Schonfirst? Na tolle Aussichten. Er hat mich ja schon vor drei Tagen ausgefragt. Ich will also nicht wissen wie es aussieht, wenn ich ihm nicht alles sofort haargenau erzähle.“

Takegami lachte kurz auf.

„Ich stelle mir gerade vor wie Sie verzweifelt versuchen Ihren Regisseur dazu zu bringen weiterzuarbeiten, anstatt Sie auszufragen. Ist das in etwa das richtige Bild, das ich habe? Wobei ich davon ausgehe, dass Sie ihm auch vor drei Tagen nichts über unsere Unterhaltung verraten hatten. Und da Sie gerade mit mir telefonieren... haben Sie es wohl auch überlebt.“

Gackt grinste.

„Keiichi darf alles essen, aber er muss nicht alles wissen. Er war recht interessiert daran, aber es geht ihn einfach nichts an.“

Es war dem Sänger unangenehm mit Keiichi darüber zu reden, was Takegami und er besprochen hatten. Die Tatsache, dass der andere Mann mit seinen Aussagen so gut wie immer recht gehabt hatte, war ihm nicht geheuer und etwas, was er dem Regisseur nicht wirklich berichten wollte.

„Darf ich Sie fragen, wo Sie sich eigentlich gerade befinden? Mir... nun ja, mir ist aufgefallen, dass Ihre Stimme nicht so gedämpft klingt wie bei unserem ersten Treffen.“

Gackt interessierte es wirklich. Er zog die Beine aufs Sofa und lehnte sich zur Seite um eine bequemere Haltung zu finden.

„Ich? In dem Raum, in dem wir uns getroffen haben. Und was meine Stimme angeht... Nun, ohne die Maske ist es wohl kein Wunder, dass es nicht so gedämpft klingt.“

Takegami lachte auf.

„Aber fragen Sie nicht, was die Wärter hier für Blut und Wasser geschwitzt haben, als der Rektor angeordnet hat mir die Maske und die Jacke abzunehmen.“

Gackt lächelte.

„Nun ich kann es mir irgendwie vorstellen. Mir ist aufgefallen, dass die Herren, die Sie vor drei Tagen begleitet hatten, auch nicht sonderlich ruhig gewirkt haben. Ich weiß nur nicht, ob sie um mich besorgt waren oder um sich selbst.“

Takegami kicherte.

„Vermutlich von beidem etwas. Sie fanden Ihren Abgang jedenfalls äußerst irritierend und hätten zu gerne gewusst, was wir besprochen hatten. Nur gut, dass dieser Raum keine Überwachungstechnik hat.“

„Ach, hat er nicht? Ich hatte gedacht, dass die Wärter Sie keine Sekunde mit mir aus den Augen lassen würden. Ich war schon dezent irritiert, als sie uns allein gelassen hatten. Wobei... sie hatten ja selbst angemerkt gehabt, dass sie nichts hätten tun können.“

 

Die beiden unterhielten sich angeregt noch eine ganze Weile und es war schon fast morgen, als Gackt es endlich schaffte ins Bett zu kommen. Er hätte nicht gedacht gehabt, dass ein Telefonat mit Takegami ihm so viel Spass machen könnte. Sie hatten zum Schluss hin doch tatsächlich noch einige Scherze miteinander gerissen. Der andere schien gar keinen so grundverschiedenen Humor zu haben wie er selbst. Er war vielleicht etwas anders, und noch eine Spur schwärzer als sein eigener, aber sonst waren sie sich doch ziemlich ähnlich. Inzwischen hatte Gackt sich sogar an diesen Gedanken gewöhnt. Als sein Wecker klingelte, gab er diesem einen unwilligen Schlag und bevor er auf die Idee kam sich doch wieder in die Bettdecke zu rollen, stand er auf. Kaum hatte er seinen ersten Kaffee getrunken, klopfte es auch schon ungeduldig an der Tür seines Wohnwagens.