„Gackt-san, sind Sie soweit?“

Gackt erkannte Keiichis Stimme sofort und öffnete die Tür, nicht ohne demonstrativ noch seine Kaffeetasse in der anderen Hand zu halten. Er sah den Regisseur mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Nichtmal Kaffee trinken kann man in Ruhe.“

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als Keiichi ihn mit offenem Mund ansah.

„Ent- entschuldigung.... wir sind nur heute etwas in Verzug und solange es noch nicht regnet wollten wir noch schnell eine Szene abdrehen.“

Er sah den Sänger an und trat nervös von einem Bein auf das andere. Und genau in diesem Moment wurde Gackt klar, dass sein nächtlicher Anruf schon die Runde auf dem Drehgelände gemacht hatte. Dass Shiro auch nicht einmal die Klappe halten konnte. Wobei er es dem Kleinen noch nicht einmal übel nahm. Er hatte gestern, als er ihm das Telefon gebracht hatte, ausgesehen wie ein verschrecktes, kleines Kind. Da fiel ihm auch ein was er Takegami hatte fragen wollen. Was dieser Shiro wohl auf dem Weg zum Wohnwagen erzählt hatte? Nun, das würde er wohl beim nächsten Mal nachholen, wenn es denn ein nächstes Mal geben würde.

„Ist ja schon gut, ich komme ja... und nein, ich werde dir nicht sagen worüber mein Telefonat mit Teijiro ging.“

Mit einer leichten Genugtuung bemerkte Gackt wie dem Regisseur die Mundwinkel nach unten sanken. Der andere hatte inzwischen gemerkt, dass wenn der Sänger nein sagte, er dies auch so meinte und dann nichts aus ihm herauszuholen war. Aber er tat ihm doch etwas leid. Gackt fasste einen Entschluss, wollte dem anderen aber noch nichts verraten um diesen nicht zu enttäuschen.

Er stellte seine Tasse ab und schlüpfte in seine Jacke, bevor er die zwei Stufen nach unten sprang um Keiichi in Richtung Drehort zu folgen.

Takegami saß in seiner Zelle und starrte wie immer die Wand an. Er hatte bis in die frühen Morgenstunden mit Gackt telefoniert und nun war er, gelinde ausgedrückt, verdammt müde. Natürlich hatte der Gefängnisalltag vor ihm keinen Halt gemacht, was natürlich auch hieß, dass pünktlich um 7 Uhr die Wärter mit dem Frühstück an seiner Zellentür aufgetaucht waren. Inzwischen war es allerdings früher Nachmittag und es war ruhig geworden. Dementsprechend überrascht zuckte er zusammen, als seine Zellentür geräuschvoll geöffnet wurde. Er blickte auf und hob irritiert eine Augenbraue. Vor ihm stand der Gefängnisdirekter in Begleitung eines Mannes in Anzug. Bisher waren alle Anzugträger, die ihm hier begegnet waren, Anwälte gewesen, doch da er weder einen bestellt hatte, noch sich einen leisten konnte, war er über den Besuch doch etwas überrascht. Allerdings machte er sich auch nicht die Mühe sich von seinem Platz zu erheben.

„Teijiro, das ist Yamamoto-san. Er ist der Anwalt von Camui Gackt.“

Das ließ Takegami nun doch aufhorchen. Wieso schickte Gackt seinen Anwalt? Er konnte sich nicht erinnern ihn einerseits darum gebeten zu haben, andererseits auch nicht ihm irgendwas getan zu haben. Sein Blick glitt über den Mann im Anzug, der aufgrund des Anblicks, der sich ihm bot, wie jeder andere mehr als nur etwas eingeschüchtert wirkte. Und auch wenn er sich so offensichtlich nichts anmerken lies, hatte Teijiro gelernt die kleinsten Zeichen der Körpersprache zu deuten. Und Yamamoto-san war eindeutig nervös.

„Gackt-san hat mich über seinen Anwalt gebeten Sie für einen Tag auf Freigang zu lassen.“

Teijiros Überraschung wuchs mit jeder Minute, die der Direktor und der Anwalt in seiner Zelle verbrachten.

„Frei...gang?“

Er kannte das Wort von anderen Gefangenen, die sich aufgrund guter Führung einige Zeit außerhalb der Gefängnismauern verdienten. Doch ihm hatte man schon bei seiner Ankunft hier gesagt, dass er das gar nicht zu erwarten brauchte. Er wartete eigentlich eher jeden Tag darauf von den normalen Zellen in den Todestrakt verlegt zu werden. Takegami sah den Direktor sichtlich irritiert an.

„Ja, Freigang. Ich weiß nicht wie Gackt-san auf diese Idee gekommen ist, aber er würde Sie gerne einladen einen Tag auf dem Drehgelände zu verbringen. Ich weiß nicht, was er damit bezweckt und ob es wirklich so eine gute Idee ist.“

Der Direktor sah den Mann auf dem Boden vor sich an. Er musste zugeben, dass sich dieser in der Woche, die seit Gackts Besuch vergangen war, sehr ruhig und umgänglich verhalten hatte.

„Sie wissen, dass dies jedoch nicht auf meinen Entscheidungen beruht. Dementsprechend kann ich Ihnen da keine endgültige Zu- oder Absage erteilen. Ich muss mich erst mit den zuständigen Obrigkeiten in Verbindung setzen.“

Der Direktor sah den Anwalt neben sich an und dieser nickte verstehend.

„Das ist mir schon klar. Und auch Gackt-san ist sich dieser Tatsache bewusst. Deswegen hatte ich mich auch sofort nach seinem Anruf bei mir mit den zuständigen Obrigkeiten in Verbindung gesetzt. Diese waren zwar zu Beginn alles andere als begeistert, wie man sich denken kann.“

Der Anwalt warf einen kleinen Seitenblick auf Teijiro, der dem Gespräch schweigend zuhörte.

„Und es brauchte einiges an Überredungskunst und Argumentation, aber sie legen es in Ihre Entscheidungsfähigkeit. Wenn Sie garantieren können, dass kein Sicherheitsrisiko bestehen wird, dann sind Sie es, die entscheiden sollen, ob der Freigang gewährt wird oder nicht. Natürlich bedarf dies dann auch einer gewissen Kooperation von Teijiro.“

Der Erwähnte blinzelte leicht. Irgendwann war er abgedriftet mit der Aussicht auf Freigang. Das würde zwar die Mitgefangenen wiedermal auf die Palme bringen, wenn er eine Sonderbehandlung erhielt, aber das störte ihn nicht. Er hatte eh nie etwas mit diesen zu tun und erfuhr höchstens mal durch einen der Wächter, was um ihn herum in den anderen Zellen geschah. Teijiro sah zu dem Direktor auf, der nachdenklich den Kopf zur Seite gelegt hatte.

„Ich kann das wirklich nicht von jetzt auf gleich entscheiden. Selbst mit dem Signal von oben, wie Sie meinten, geht das nicht so einfach. Ich muss auf die Sicherheitsbestimmungen achten. Das heißt, ich bräuchte mindestens 4 Mann, die Begleitung machen. Dazu muss ich erstmal in den Dienstplan sehen und alles organisieren.“

Der Direktor seufzte resignierend und Takegami unterdrückte mit größter Mühe das Lächeln, das sich auf seine Lippen schleichen wollte. Dass der ältere Mann vor ihm tatsächlich schon über Dienstplan und Sicherheitsbestimmungen sinnierte, deutete eigentlich schon darauf hin, dass er sich entschieden hatte.

„Ich werde mich nochmals bei den Obrigkeiten erkundigen und meine Entscheidung dann mitteilen. Das wird allerdings vermutlich noch ein bis zwei Tage dauern.“

Der Direktor sah Yamamoto an und nickte leicht.

„Teilen Sie mir einfach mit, wie Ihre Entscheidung ausgefallen ist und ich werde diese an Gackt-san weiterleiten.“

Der Anwalt verbeugte sich leicht vor dem Direktor und warf Takegami einen weiteren kurzen Blick zu, bevor er sich mit einem dezenten Lächeln auf den Lippen aus der Zelle zurückzog.

Yamamoto hatte darauf bestanden Teijiro zu sehen, wenn er schon für seinen Boss einen Mörder aus dem Gefängnis holen sollte. Und auch wenn dieser sich nicht bewegt hatte, so hatte Gackt mit seiner Beschreibung des Mannes durchaus recht gehabt. Selbst so schweigend und bewegungslos strahlte der Mann eine sehr einnehmende Aura aus, die ihn fasziniert hatte.

Der Anwalt folgte dem Direktor aus der Zelle und den Gang entlang.

„Sie haben sich doch eigentlich schon entschieden, oder nicht?“

Fragte er ganz unverholen und lächelte, als der Direktor sich ertappt zu ihm umdrehte.

„Nun.... ich weiß nicht wie Gackt-san es geschafft hat, aber in den paar Tagen jetzt nach seinem Besuch war Teijiro so umgänglich wie noch nie. Wo ich früher drei Leute einplanen musste, wenn wir ihn nur von seiner Zelle irgendwo hin bringen mussten, so reichen nun zwei. Sicherlich ist er noch immer gefährlich, der Grund warum wir auch noch immer nicht auf die Jacke und die Maske verzichten können und wollen im Umgang mit ihm, aber es hat sich gebessert. Ich denke also... sollten die Obrigkeiten wirklich sich auf diese Idee einlassen, wie Sie schon erwähnten, dass seinem Freigang nichts im Wege steht. Es liegt allerdings auch wirklich daran, ob ich für die Sicherheit sorgen kann.“

Der Rektor lächelte leicht und Yamamoto nickte zufrieden. Genau das hatte er hören wollen.

Nun lag es an ihm und Gackts Management dafür zu sorgen, dass der Freigang von Takegami nicht allzu große Wellen in den Medien schlagen würde.